Olgahospital im Klinikum Stuttgart

Kinder sind keine kleinen Erwachsenen Herausforderungen in der Kinderradiologie

08.12.2015

Bildgebende Untersuchungen von Kindern bringen ganz eigene Herausforderungen mit sich: Unterschiede in der Anatomie, sensiblere Reaktionen auf Röntgenstrahlung und weniger Verständnis für Untersuchungsanforderungen sind die größten Unterschiede zur Bildgebung bei Erwachsenen. Für die erfolgreiche Behandlung der kleinen Patienten ist auch die Zusammenarbeit verschiedener Abteilungen von großer Bedeutung – wie das Olgahospital in Stuttgart zeigt.

Die „Arche der Hoffnung“ ist zwei Stockwerke hoch. Die Innenwände des etwa zehn Meter langen Schiffes sind mit einer blauen Verkleidung gepolstert. Auf dem Oberdeck spielen zwei Mädchen im Grundschulalter. Sie rennen herum, klettern auf die vielen verschiedenen Leitern und sausen durch die metallene Röhrenrutsche. Die Arche der Hoffnung befindet sich nicht etwa auf einem Spielplatz, sie steht mitten im Eingangsbereich des Olgahospitals in Stuttgart – einem der größten Kinderkrankenhäuser Deutschlands.

Biegt man an der Arche der Hoffnung rechts ab und folgt den orangen Koalas, Kängurus und Schnabeltieren an den Wänden, findet man am Ende des Ganges die pädiatrische Radiologie. Hier untersuchen Privatdozentin Dr. Thekla von Kalle, ärztliche Direktorin des Radiologischen Instituts am Olgahospital, und ihr 33-köpfiges Team etwa 45.000 Patienten pro Jahr. Von ihnen benötigen ungefähr 5.000 eine Magnetresonanztomographie (MRT), 15.000 einen Ultraschall und etwa 25.000 eine Röntgenaufnahme. „Bei der Auswahl des Untersuchungsverfahrens für Kinder steht natürlich immer im Mittelpunkt, eine Strahlenexposition möglichst zu vermeiden. Ist man einer erhöhten Strahlung ausgesetzt, steigt bei allen von uns das Risiko einer Krebserkrankung. Kinder reagieren allerdings besonders sensibel“, erklärt Dr. von Kalle. Aus diesem Grund bietet die Stuttgarter Kinderradiologie auch keine computertomographischen Untersuchungen an. Vielmehr sind gemäß dem ALARA-Prinzip (englisch für „as low as reasonably achievable“) – welches besagt, dass die Strahlendosis so niedrig wie vernünftigerweise möglich sein sollte – Ultraschalluntersuchungen und MRT-Aufnahmen die bevorzugten Bildgebungsmethoden bei Kindern, da diese ganz ohne Röntgenstrahlung auskommen. Sind dennoch Röntgenaufnahmen notwendig, passt Dr. von Kalle und ihr Team die Strahlendosis der jeweils zu untersuchenden Fragestellung an. So genügen den behandelnden Ärzten beispielsweise bei manchen orthopädischen Fällen schon Aufnahmen mit einer niedrigen Dosis und wenigen Details, um eine Behandlungsentscheidung zu treffen. Leidet ein Kind hingegen an einer rheumatischen Erkrankung, sind oft differenziertere Detailaufnehmen nötig. Zusätzlich sind die digitalen Röntgengeräte der Stuttgarter Kinderradiologie, unter anderem ein Luminos dRF und zwei Multix Fusion, besonders strahlungsarm. „In den letzten Jahren hat sich an der Technik aller Geräte sehr viel getan. Bei Röntgenuntersuchungen ist für uns dabei vor allem wichtig, dass wir heute eine gleich gute Bildqualität mit zum Teil noch geringerer Strahlenexposition erreichen können“, berichtet Dr. von Kalle.

Privatdozentin Frau Dr. Thekla von Kalle, Olgahospital im Klinikum Stuttgart
Privatdozentin Frau Dr. Thekla von Kalle, Olgahospital im Klinikum Stuttgart

Nicht nur beim Umgang mit Röntgenstrahlung unterscheidet sich eine spezialisierte Kinderradiologie von einer allgemeinen Radiologie. „Für alle pädiatrischen Fächer gilt: Kinder sind keine kleinen Erwachsenen“, erläutert Dr. von Kalle. „Man kann das, was man bei Erwachsenen gelernt hat – seien es Krankheiten, die Physiologie oder Untersuchungsmethoden – nicht einfach auf Kinder übertragen. Jedes Kindesalter hat typische Erkrankungen oder typische Reaktionen des Körpers auf Erkrankungen. Es ist wichtig, dass Radiologen das wissen, denn dann können sie den behandelnden Ärzten schneller und effektiver weiterhelfen, das Kind richtig zu therapieren.“

Auch die Vorbereitung einer Untersuchung und ihr Ablauf erfordern ein ganz eigenes Vorgehen. „Bei Untersuchungen von Kindern muss man alle Erklärungen und alles, was man tut, dem Alter des Kindes jeweils anpassen. Das Kind muss verstehen, warum es bei der Untersuchung mitmachen muss und was mit ihm passiert.“ Besonders schwierig ist es laut Dr. von Kalle, die kleinen Patienten so zu beschäftigen, dass sie während der Untersuchung still liegen bleiben. Dies ist gerade bei länger dauernden Untersuchungen wichtig, da sonst durch die Bewegung Artefakte entstehen und diese die Aussage der Untersuchung beeinträchtigen können. Je nach Alter der Kinder unterhalten die Mitarbeiter der pädiatrischen Radiologie sie zum Beispiel mit einem Mobile, Bildern an der Wand, auf welchen die Kinder etwas suchen oder zählen können, oder mit Filmen, die sich die kleinen Patienten während der Untersuchung im MRT ansehen können. Erst wenn das nicht funktioniert, werden die Kinder sediert. „Während der MRT-Untersuchung einen Film anschauen zu können, ist natürlich das Allerbeste. Dabei wird den Kindern nicht langweilig. Das spart uns tatsächlich auch Sedierungen ein. Kleinere Kinder, zum Beispiel Vier- bis Fünfjährige, schaffen es mit einem Film ganz gut stillzuliegen“, erzählt Dr. von Kalle. „Außerdem gehen MRT-Untersuchungen heute auch schneller. Das kommt natürlich allen Kindern entgegen.“ Seit dem Umzug in den Neubau des Olgahospitals im Mai 2014 verfügt die Kinderradiologie neben dem bereits vorhandenen MRT-System MAGNETOM Avanto 1,5T auch über ein MAGNETOM Skyra 3T. „Die Darstellung von sehr kleinen Strukturen ist bei der Diagnostik von kleinen Kindern – und kleinen Organen, wie dem Innenohr – extrem wichtig. Mit unserem neuen MRT-Gerät können wir sehr viel mehr Details erkennen. Außerdem können wir auch funktionelle und quantitative Messungen vornehmen. Das war vorher nicht möglich.“

Trotz all dieser zu beachtenden Besonderheiten, ist die pädiatrische Radiologie keine sehr weit verbreitete medizinische Disziplin in Deutschland. Nur etwa 1,6 Prozent der in Deutschland tätigen Radiologen führen diese Schwerpunktbezeichnung. Eine vergleichsweise geringe Zahl bei gut 13 Millionen Minderjährigen deutschlandweit, die etwa 16 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen1. Die Arbeit mit den kleinen Patienten erfordert aber nicht nur eine spezielle Ausbildung der Radiologen, auch die anderen Mitarbeiter der Abteilung müssen entsprechend geschult sein. „Für das Team einer Kinderradiologie ist eine besondere Ausbildung sehr wichtig. Dieser Beruf hat eine hochtechnisierte Seite, die man aber auch mit den Bedürfnissen der Kinder übereinbringen muss. Dafür bedarf es eines großen Engagements und natürlich viel Übung, wie man mit den Kindern umgeht“, betont Dr. von Kalle. Ein Grund dafür, dass die pädiatrische Radiologie kein besonders weit verbreitetes Fachgebiet ist, könnte sein, dass die Bildgebung bei Kindern nicht höher vergütet wird als die bei Erwachsenen – trotz des deutlich höheren Zeitaufwands, der bei Vorbesprechungen und Untersuchungen oft nötig ist.

Untersuchung im MAGNETOM Avanto
Untersuchung im MAGNETOM Avanto

Eine große Anzahl von bildgebenden Untersuchungen führen die Stuttgarter Radiologen bei Kindern durch, die an einer Krebserkrankung leiden. Denn die behandelnden Kinderonkologen sind bei der Diagnose, Behandlungsüberwachung und Nachsorge wiederholt auf Bildgebung angewiesen – wie bei der Therapie eines fünfzehnjährigen Jungen, der nach einem Fußballspiel Schmerzen im Knie bekommen hatte, die in den folgenden Wochen immer stärker geworden waren. „Der Verdacht, dass es sich um einen Knochentumor – ein sogenanntes Osteosarkom – handelt, hat sich nach einer Biopsie bestätigt. Für die Diagnose mussten wir Bildgebungsmethoden einsetzen, die die lokale Tumorausdehnung beschreiben. Es waren Röntgenaufnahmen und eine MRT des gesamten Beins nötig, um zu sehen, ob sich in benachbarten Knochen Metastasen gebildet haben“, beschreibt Prof. Stefan Bielack, ärztlicher Direktor des Instituts für Onkologie, Hämatologie und Immunologie am Olgahospital, den Fall. Wie in der Osteosarkomtherapie üblich, behandelten die Ärzte den Jungen zunächst mit einer neoadjuvanten Chemotherapie. Es folgte eine Operation, bei der ein Teil des Kniegelenks entfernt und eine Prothese eingesetzt wurde. „Kurz vor der Operation war wieder eine MRT mit Diffusionsgewichtung und dynamischen Kontrastmittelsequenzen nötig, um das Ansprechen des Tumors auf die Chemotherapie abschätzen zu können. Diese Aufnahmen sind auch für den Operateur von Bedeutung. Weiß er, dass der Tumor noch quicklebendig ist, dann hält er lieber noch mehr Abstand“, erklärt Prof. Bielack. „Das bildgebende Follow-Up muss anschließend mindestens über zehn Jahre gehen, wahrscheinlich sogar länger.“ Bei diesen Nachsorgeuntersuchungen handelt es sich hauptsächlich um Thoraxaufnahmen mittels konventionellem Röntgen, auf denen die Ärzte nach Lungenmetastasen suchen. In größeren Zeitabständen führen sie zudem Röntgenaufnahmen des operierten Beins durch, um dort den Prothesensitz zu kontrollieren und auf lokale Rezidive zu achten, die laut Prof. Bielack allerdings generell erfreulich selten sind. „Heute geht es dem Jungen gut, auch wenn er sich noch einmal das Bein gebrochen hat, weil ihm sein Moped drauf gefallen ist. Da haben wir uns doch Sorgen um die Prothese gemacht. Aber das ist zum Glück gut gegangen.“

Prof. Stefan Bielack, ärztlicher Direktor des Instituts für Onkologie, Hämatologie und Immunologie am Olgahospital
Prof. Stefan Bielack, ärztlicher Direktor des Instituts für Onkologie, Hämatologie und Immunologie am Olgahospital

Die Station für Kinderonkologie ist nur eine kurze Fahrt mit dem Aufzug von der Radiologie entfernt. Auch hier – im dritten Stock des Olgahospitals – weisen die orangen Kängurus, Koalas und Schnabeltiere an den Wänden Patienten und Besuchern den Weg durch die Klinik. Aber nicht nur räumlich liegen die beiden Abteilungen nah beieinander. „Wir haben hier am Olgahospital eine sehr gut funktionierende Zusammenarbeit zwischen der Kinderradiologie und den pädiatrischen Disziplinen. Das Besondere bei uns ist, dass wir die Ansprechpartner in nächster Nähe haben und mit ihnen das gesamte Spektrum der Radiologie auch diskutieren können. Das fängt bei der Entscheidung an, welche Untersuchungen man eigentlich durchführt und reicht bis zur Befundung und gemeinsamen Diskussion über das weitere Vorgehen“, betont Prof. Bielack. „Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Abteilungen funktioniert hier sehr gut, weil jeder weiß, was der andere von einem braucht. Die Radiologie benötigt von uns genaue Fragestellungen, zum Beispiel nach dem Sitz des Tumors, seiner Größe, den benachbarten Strukturen und der Perfusion. Wir wiederum möchten von den Radiologen gezielte Antworten auf diese Fragen erhalten und sie mit ihnen diskutieren.“

Zu diesem Zweck finden pro Woche mehrere gemeinsame Konferenzen der beiden Abteilungen statt. Die Ärzte sind aber auch immer wieder in persönlichem Kontakt, um zu beraten, welche Untersuchung für ein Kind die beste wäre oder um über Untersuchungsergebnisse zu sprechen. „Die Absprache mit den Kollegen, die uns die Patienten zuweisen, ist vor jeder Untersuchung ganz besonders wichtig“, ergänzt Dr. von Kalle. „Wir möchten die Untersuchungszeit möglichst kurz halten und eine Strahlenexposition vermeiden. Dafür ist es sehr wichtig, ganz genau zu wissen, was die Fragestellung für die Untersuchung ist und welches Ergebnis zu einer Therapieentscheidung führen könnte. Nur gemeinsam kann man gut überlegen, welche Untersuchung am besten wäre.“ Laut Dr. Axel Enninger, dem ärztlichen Leiter des pädiatrischen Zentrums am Olgahospital, ist es für die Behandlung der kleinen Patienten außerdem von großem Vorteile, dass das Olgahospital fachlich sehr breit aufgestellt ist. „Es gibt Kinder, da weiß man zum Zeitpunkt der Erstvorstellung nicht so genau, ob es sich eher um eine orthopädische, eine rheumatologische oder vielleicht eine onkologische Erkrankung handelt. Da ist ein großer Vorteil, dass wir praktisch alle Disziplinen an Bord haben“, so Dr. Enninger.

Aber wie früh kann eine solche Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Abteilungen eigentlich beginnen? Sehr früh, wie Dr. von Kalle anhand eines weiteren Fallbeispiels erläutert: nämlich bereits vor der Geburt des Patienten. „Eine werdende Mutter kam zu uns, weil während einer Vorsorgeuntersuchung eine Schwellung am Rücken ihres ungeborenen Kindes entdeckt worden war. Da man bei der Ultraschalluntersuchung nichts Näheres über diese Raumforderung sagen konnte, untersuchten wir die Mutter im MRT. Der eigentliche Patient war aber natürlich das Kind“, erinnert sich Dr. von Kalle. Die MRT bestätigte, dass es sich bei der Raumforderung um einen Tumor in der Rückenmuskulatur handelte, der vom Nacken bis zum Becken reichte. „Es war klar, dass dieses Kind wahrscheinlich nach der Geburt wegen einer angeborenen Krebserkrankung in der Kinderonkologie behandelt werden muss. Deshalb haben wir noch vor der Geburt gemeinsam mit den Onkologen die Differentialdiagnosen gestellt und das weitere Vorgehen geplant. All das mussten wir auf der einen Seite sehr offen, auf der anderen Seite aber natürlich auch sehr einfühlsam mit den Eltern besprechen, damit sie sich darauf vorbereiten konnten“, berichtet Dr. von Kalle.

Nach der Geburt des kleinen Patienten führten die Ärzte eine ultraschallgesteuerte Nadelbiopsie durch, um eine Gewebeprobe des Tumors zu entnehmen. Die histologische Untersuchung der Probe bestätigte, dass es sich tatsächlich um einen bösartigen Tumor handelte. Aufgrund seiner Größe war dieser allerdings nicht operabel, so dass das Baby eine Chemotherapie brauchte. „Während der Behandlung durch die Kinderonkologen waren alle sechs Wochen bis drei Monate Ultraschall- und MRT-Untersuchungen notwendig, um den Erfolg der Chemotherapie zu überprüfen“, so Dr. von Kalle. Und tatsächlich verschwand der Tumor. „Das Kind ist heute vier Jahre alt und es geht ihm gut. Es kommt aber weiterhin zu halbjährlichen Kontrolluntersuchungen zu uns. Einerseits kontrollieren wir dabei mit MRT-Untersuchungen, ob der Therapieerfolg anhält. Andererseits müssen wir mit Hilfe von Röntgenaufnahmen beobachten, wie sich die Rückgratverkrümmung entwickelt, die durch den Tumor und die Vernarbung der Rückenmuskulatur entstanden ist und von der Kinderorthopädie behandelt wird.“ Auch wenn das Kind wahrscheinlich noch einige Zeit der Patient von Dr. von Kalle sein wird, ist sie doch zuversichtlich: „Das Kind geht normal in den Kindergarten, auch wenn zur Behandlung der Rückgratverkrümmung noch ein Korsett und Krankengymnastik nötig sind. Aber die Chancen sind gut, dass es irgendwann gesund sein wird.“ Bis dahin wird der kleine Patient noch einige Male an der Arche der Hoffnung spielen.

In einem Krankenhaus zu sein – womöglich sogar für eine mehrmonatige Behandlung – ist für die kleinen Patienten und ihre Familien sehr schwierig. Aus diesem Grund ist es laut Dr. Axel Enninger, dem ärztlichen Leiter des pädiatrischen Zentrums am Olgahospital, besonders wichtig, dass ein Kinderkrankenhaus auch kinderfreundlich ist. Die Arche der Hoffnung, ein „Raum der Stille“, das Leitsystem mit seinen roten, orangen, gelben, grünen, blauen und lila Tiere an den Wänden: all das soll am Olgahospital dazu beitragen, dass sich die Kinder und ihre Familien ein wenig wohler in dem Gebäude fühlen. „Die Art und Weise der Innengestaltung unseres im Mai 2014 eröffneten Neubaus wäre nicht möglich gewesen, wenn wir nicht externe Sponsoren gehabt hätten“, erklärt Dr. Enninger. Sponsoren wie die Olgäle-Stiftung für das kranke Kind e.V., der Förderkreis krebskranker Kinder e.V. und viele andere Vereine finanzieren in Stuttgart aber nicht nur die kindgerechte Innenausstattung des Krankenhauses, sondern beteiligen sich auch am Kauf neuer medizintechnischer Geräte wie dem MRT-System MAGNETOM Skyra 3T und an den Personalkosten. „Es gibt eine ganze Reihe von Personal, das extern gesponsert wird, zum Beispiel zusätzliche Pflegekräfte, aber auch Psychologen, Sozialarbeiter und eine Rheumaschwester“, freut sich Dr. Enninger.

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